SONDERRUNDSCHREIBEN – DAS CORONAVIRUS UND SEINE AUSWIRKUNGEN

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am vergangenen Mittwoch (11. März) das Coronavirus zur globalen Pandemie erklärt und in diesem Zusammenhang eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen und Präventivmaßnahmen angeregt, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, die Auswirkungen auf die Routine der Weltbevölkerung haben und die die Geschäfts- und Arbeitswelt beeinträchtigen.

Vor diesem Hintergrund werden wir von unseren Mandanten nach den Maßnahmen gefragt, die das Unternehmen ergreifen kann, um sich dieser neuen Realität anzupassen.

Das vorliegende Informationsschreiben dient dazu, allgemeine Orientierungen zum Thema zu geben, um unsere Mandanten zu unterstützen, mit einer eventuellen Krise aufgrund des Coronavirus umzugehen. Die Implementierung der erwähnten Maßnahmen sollte jedoch stets erst nach einer Prüfung im Einzelfall erfolgen.

AUSWIRKUNGEN AUF DIE ARBEITSBEZIEHUNGEN

Gesetz Nr. 13979/2020 und Erlass Nr. 356/2020

Am 06.02.2020 wurde das Gesetz 13.979/2020 verkündet. Es enthält Regelungen über die Notfallmaßnahmen der öffentlichen Gesundheit von internationaler Bedeutung aufgrund des Coronavirus und soll die Allgemeinheit schützen.

Zur Bekämpfung der Krise können unter anderem Maßnahmen wie die Isolierung, Quarantäne, medizinische Zwangsuntersuchungen, Labortests, Vornahme klinischer Proben, Impfungen und spezifische medizinische Behandlungen angeordnet werden.

In dem Gesetz wurde ferner geregelt, dass es sich bei den Fehlzeiten der Arbeitnehmer aufgrund der im vorstehenden Absatz genannten Maßnahmen um begründete Fehlzeiten handelt, durch die der Arbeitnehmer keine Lohn- bzw. Gehaltseinbußen erleiden darf.

Für die nähere Regelung und Umsetzung des erwähnten Gesetzes hat das Gesundheitsministerium am T ag der Pandemie-Erklärung der WHO den Erlass 356 veröffentlicht, in dem unter anderem die Kriterien für die Isolierung und Quarantäne geregelt sind.

Präventive Maßnahmen des Unternehmens

Neben der Bekanntmachung der von den Arbeitnehmern zu ergreifenden Vorsichtsmaßnahmen, um die Ansteckung im Arbeitsumfeld und im Privatleben zu vermeiden, wie das Einhalten eines Sicherheitsabstandes, das konstante Waschen der Hände mit Seife, die Benutzung von Alkohol in Form von Gel und das Unterlassen der gemeinsamen Nutzung persönlicher Utensilien, muss das Unternehmen nach unserem Verständnis vorsorgliche Maßnahmen im Arbeitsumfeld verstärken und ferner Alkohol in Form von Gel an allgemein zugänglichen Orten bereitstellen muss.

Darüber hinaus muss das Unternehmen seine Arbeitnehmer orientieren, bei Auftreten jedweder für das Coronavirus typischen Symptome einen Arzt aufzusuchen und anschließend das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung mitzuteilen, damit, falls erforderlich, ergänzende Maßnahmen ergriffen werden können.

Als präventive Maßnahme wird ferner das Home-Office für Arbeitsplätze/Funktionen vorgeschlagen, die diese Art der Modalität der Arbeit erlauben, und mit alternativen Maßnahmen die Einhaltung der Arbeitszeiten derjenigen zu gewährleisten, die der Arbeitszeitkontrolle unterliegen. Die Inhaber von Vertrauenspositionen, Mitarbeiter in externen Funktionen und an einem Telearbeitsplatz (Artikel 75 CLT) sind bereits von der Arbeitszeitkontrolle ausgenommen, weshalb die Home-Office- Modalität für diese Gruppe keine Auswirkungen hat. Vorzugsweise sollte der Arbeitgeber die notwendigen Mittel für die Durchführung der Tätigkeit im Home- Office zur Verfügung stellen. Wir empfehlen, diese Ausnahmesituation (die nicht mit der gesetzlich geregelten T elearbeit zu verwechseln ist) sicherheitshalber in einem gesonderten Dokument zu regeln.

Unbeschadet der bereits erwähnten Empfehlungen sollte das Unternehmen die Durchführung von Reisen seiner Arbeitnehmer vermeiden und Veranstaltungen und Besprechungen, bei der es zur Ansammlung von Personen kommt, absagen bzw. diese bei Unaufschiebbarkeit durch Kommunikationsmittel durchführen, um Ortsveränderungen, Ansteckungsgefahr und/oder persönlichen Kontakt in erheblichem Ausmass zu vermeiden.

Freistellung aufgrund des Coronavirus

Im Fall der Bestätigung der Diagnose muss der Arbeitnehmer auf ärztliche Anordnung vom Arbeitsplatz entfernt und für einen anfänglichen Zeitraum von 14 T agen, verlängerbar um denselben Zeitraum, freigestellt werden. Die Isolierung des Arbeitnehmers sollte zunächst vorzugsweise zu Hause erfolgen. Der Arbeitgeber muss Lohn bzw. Gehalt für die ersten 15 (fünfzehn) Tage der Fehlzeit des Arbeitnehmers fortzahlen, danach bekommt der Arbeitnehmer ein Krankengeld von der gesetzlichen Krankenversicherung INSS (B-31).

Empfehlenswert ist, dass Arbeitnehmer, die von Auslandsreisen zurückkehren – unabhängig davon, ob es sich um Geschäfts- oder Privatreisen handelt – selbst dann, wenn sie keine Symptome aufweisen mindestens 14 Tage dem Arbeitsumfeld fernbleiben, um eine Ansteckung zu vermeiden.

Infiziert sich der Arbeitnehmer im Arbeitsumfeld oder aufgrund seiner Arbeitstätigkeit mit dem Virus, einschließlich auf Geschäftsreisen, handelt es sich um einen Arbeitsunfall, für den die vorstehenden Ausführungen gelten, außer in Bezug auf das Krankengeld. In diesem Fall erhält der Arbeitnehmer ein Unfallgeld (B-91).

Beeinträchtigt die hohe Anzahl an fehlenden Arbeitnehmern den ordnungsgemäßen Betrieb des Unternehmens, können Zeitarbeitskräfte eingestellt werden. In diesem Fall finden die Vorschriften des Gesetzes 6019/1974 Anwendung.

Teilweise oder vollständige Einstellung der Aktivitäten des Unternehmens

Entschließt sich das Unternehmen auf eigene Initiative, seine Aktivitäten aufgrund der Folgen des Coronavirus ganz oder teilweise einzustellen, kann geprüft werden, ob in diesem Fall höhere Gewalt vorliegt (Artikel 501 CLT).

Unseres Erachtens handelt es sich bei der vom Staat verhängten Quarantäne zweifelsfrei um höhere Gewalt. Es liegt eine außergewöhnliche Situation vor, die zum Ergreifen außergewöhnlicher Maßnahmen berechtigt, ohne dass dies als eine Änderung des Vertrages betrachtet werden kann, die den Arbeitnehmer benachteiligt.

Die Arbeitnehmer können in Betriebsferien gesandt werden, wofür allerdings die in dem betreffenden Kapitel des brasilianischen Arbeitsgesetzbuchs (CLT) genannten Maßnahmen ergriffen werden müssen, einschließlich der Bezahlung der Ruhezeit und der vorherigen Mitteilung an die Gewerkschaft sowie die zuständige Behörde, aktuell das Wirtschaftsministerium.

Eine Alternative ist der bezahlte Sonderurlaub, bei der die Fehlzeiten durch Überstunden bis zu einer Höchstgrenze von 2 (zwei) Stunden täglich ausgeglichen werden. Dies ist nach Art. 61 CLT zulässig, solange die Höchstgrenze von 45 Tagen für den genannten Ausgleich beachtet wird.

Ferner kann das Unternehmen gemäß Artikel 611-A CLT und Art. 7 VI der Bundesverfassung durch Tarifverhandlungen mit der Gewerkschaft der betreffenden Berufskategorie Sonderbedingungen für die Fehlzeiten und die Zeit nach deren Beendigung aushandeln, einschließlich der zeitlichen Reduzierung von Gehalt und Arbeitszeiten.

AUSWIRKUNGEN AUF DIE GESCHÄFTSBEZIEHUNGEN

Mit der Änderung der Dynamik in den sozialen Beziehungen tauchen verschiedene Fragen in Bezug auf die laufenden Geschäfte auf:

Was geschieht mit laufenden Verträgen, die die Lieferung von Produkten oder Dienstleistungen betreffen? Ist es möglich, diese zu kündigen? Wenn der Verkäufer bzw. Dienstleister seine Pflichten nicht erfüllt, kann der Käufer bzw. Empfänger der Dienstleistung eine Vertragsstrafe oder Schadenersatz verlangen? Wenn die Zahlung bereits erfolgt ist, muss diese erstattet werden? Falls Verträge in Dauerschuldverhältnissen ausgesetzt werden, können die Zahlungen dann ebenfalls ausgesetzt werden?

Auf diese und andere Fragen gibt keine einheitlichen Antworten:

Im Prinzip kann die Pandemie des neuen Coronavirus als ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis angesehen werden, das zur Unmöglichkeit der Erfüllung der vereinbarten Leistungen führt.

In Brasilien sieht Art. 393 Zivilgesetzbuch vor, dass der „Schuldner vorbehaltlich ausdrücklicher Haftungsregelung nicht für Schäden aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt haftet.“ Dabei wird laut Zivilgesetzbuch unter einem unvorhersehbaren Ereignis oder höherer Gewalt ein Umstand verstanden, dessen Wirkungen nicht vermieden oder verhindert werden konnten.“

Das brasilianische Gesetz regelt hier zwar zwei unterschiedliche Kategorien von Ereignissen (unvorhersehbares Ereignis und höhere Gewalt), diese haben in der Praxis jedoch dieselben Rechtsfolgen, weshalb wir hier keine Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien vornehmen, sondern diese kurz als höhere Gewalt bezeichnen, zumal dies die Bezeichnung ist, die von der Mehrzahl der Länder verwendet wird.

Nach den brasilianischen Gesetzen befreit die Nichterfüllung einer Verpflichtung aufgrund höherer Gewalt den Schuldner von der Haftung für Schäden. Das Gesetz regelt jedoch nicht eindeutig, was in Bezug auf die nicht erfüllte Verpflichtung geschehen soll. Dies führt zur Prüfung in jedem konkreten Fall, ob die Nichterfüllung der Verpflichtung absolut oder relativ ist.

Absolut ist die Nichterfüllung, wenn die Erfüllung der Leistung (ganz oder teilweise) dauerhaft unmöglich wird, relativ ist sie, wenn der Schuldner die Leistung grundsätzlich noch erfüllen kann.

Die Mehrzahl der Vertreter der Rechtslehre vertritt die Auffassung, dass die durch die höhere Gewalt beeinträchtigte Partei bei absoluter Nichterfüllung von der betreffenden Verpflichtung zu befreien ist. Ist die Nichterfüllung relativ, wird die Partei vorübergehend von der Verpflichtung befreit und zwar solange, bis die Erfüllung wieder möglich wird.

Die Situation ist jedoch nicht immer einfach: es gibt zahllose andere Folgen der Unmöglichkeit der Erfüllung vertraglicher Pflichten, wie bspw. bei der Verflechtung des beeinträchtigten Vertrages mit unterschiedlichen anderen Beziehungen und Verpflichtungen, die über die Ausgangsbeziehung hinausgehen. Das Fehlen der Herstellung eines einzigen Teils eines Automobils aufgrund höherer Gewalt kann den gesamten Markt jenes Segments zum Stillstand bringen, einschließlich Zulieferer, Hersteller und Händler, mit dem Risiko der Insolvenz von Unternehmen, Entlassung von Arbeitnehmern, fehlender Endkundenbetreuung etc.

Es gibt keine allgemeine Formel für die Lösung dieser Situationen. Jeder Fall muss einzeln geprüft werden. Es muss jeder mit jenem Vertrag, dessen Verpflichtungen durch ein Ereignis höherer Gewalt beeinträchtigt wurden, verbundene Aspekt geprüft werden. Es ist beispielsweise wichtig, ob der Vertrag eine spezifische Regel für diese Art von Ereignis vorsieht, ob de facto die Kausalität zwischen dem Ereignis der höheren Gewalt und der nicht erfüllten Verpflichtung gegeben ist und ob es alternative Formen der Minimierung solcher Auswirkungen gibt. In internationalen Verträgen muss geprüft werden, welches Recht auf Streitigkeiten Anwendung findet, ob Konflikte zwischen zwei oder mehr Rechtsordnungen existieren und ob die Vertragsklauseln irgendeine Norm der öffentlichen Ordnung des jeweiligen Landes einer der Vertragsparteien verletzen.

Wie man sieht, stehen wir zahlreichen enormen Herausforderungen gegenüber, die einer sorgfältigen Prüfung bedürfen, damit die Parteien ihre Entscheidungen bezüglich der von den Ereignissen höherer Gewalt betroffenen und nicht erfüllten Verträgen treffen können.

In jedem Fall müssen sich die Parteien bei Verträgen, die nicht erfüllt werden, in einer aussergewöhnlichen Situation wie der jetzigen bemühen, mit Augenmaß und in gegenseitiger Zusammenarbeit alternative Lösungen zu finden, nicht nur, um die Auswirkungen für alle Beteiligten so gering wie möglich zu halten, sondern auch im Hinblick auf die erheblichen Unsicherheiten, Kosten und den Zeitaufwand, die entstehen können, wenn Auseinandersetzungen vor Gericht ausgetragen werden.

Stüssi-Neves Advogados steht Ihnen für Rückfragen zu diesem Thema selbstverständlich gern zur Verfügung.

São Paulo, den 18. März 2020

Maria Lúcia Menezes Gadotti
marialucia.gadotti@stussinevessp.com.br

 

 

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